Seit Monaten werden Städte in Nordkurdistan (türkisch-Kurdistan) durch das türkische Militär belagert. Abgeschnitten von Strom und Wasserversorgung ist die Zivilbevölkerung gezwungen in ihren zerstörten Häusern auszuharren. Telefon und Internetverbindungen sind gekappt um jeglichen Kontakt zur Außenwelt zu unterbinden. Scharfschützen* eröffnen das Feuer auf jeden, der sich den Ausgangssperren widersetzt. Seit Wochen gibt es keine medizinische Versorgung für die Alten und Kranken und die Lebensmittel werden knapp. Wahllos werden Zivilist*innen mit Granaten und Bomben beschossen. Hunderte verloren in den vergangenen Monat ihr Leben.
Am Himmel kreisen die Helikopter und durch die Straßen rollen Panzer, nicht selten deutschen Fabrikats. Seit Juli letzten Jahres wurden tausende linke Aktivist*innen der kurdischen Bewegung verschleppt und inhaftiert. Unliebsame Journalist*innen werden wegen „Terrorismusverdacht“ verhaftet und vor Gericht gestellt. Demokratisch gewählte Bürgermeister*innen werden aus ihren Ämtern entfernt und eingesperrt. Sogar gegen Politiker*innen der oppositionellen HDP, der Demokratischen Partei der Völker, wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet, wie zuletzt gegen den Co-Vorsitzenden Sellahatin Demirtas. Das islamistisch-nationalistische AKP-Regime des türkischen Staatschef Recep Erdoğan, das nachweislich auch den Islamischen Staat unterstützt, baut die Türkei gerade zu einem Polizeistaat um. Die Unterstützung des IS durch die Türkei geht sogar soweit, dass Kämpfer* vom türkischen Militär über die türkisch-syrische Grenze gebracht werden, um dort Massaker an der Bevölkerung durchzuführen. Den blutigen Krieg gegen die Selbstverwaltungsstrukturen und die Selbstverteidigungskräfte der Bevölkerung, in den vom türkischen Staat besetzten Teilen Kurdistans, versucht Staatschef Erdoğan als „Kampf gegen den Terror“ zu verkaufen. Dabei verwendet Erdoğans Militär und Polizei selbst terroristische Mittel. Das türkische Militär setzte sogar mancherorts auf chemisches Gas um den Widerstand zu brechen. Nach dem Beginn der Angriffe im Juli letzten Jahres verkündete die Bevölkerung in vielen Teilen des Landes die Demokratische Autonomie. Die Bevölkerung nahm ihre Geschicke selbst in die Hand und die Institutionen des Staates verloren ihre Legitimation. Die basisdemokratischen Volksräte übernahmen fortan die Geschicke der Städte. Der Staat beantwortete dies prompt mit der Verhängung von Ausgangssperren und setzte Panzer gegen die Bevölkerung ein. Doch trotz des Terrors des türkischen Staates ist die Bevölkerung entschlossen, die demokratische Autonomie zu verteidigen. Trotz der Verbote und der Massaker gehen weiterhin Tag für Tag tausende Menschen auf die Straßen. Trotz des Einsatzes von Helikoptern, Panzern und Artillerie leistet die Jugend erbitterten Widerstand und verteidigt mit einfachsten Mitteln die Stadtviertel. Trotz Repression, Zensur, Verschleppung, Gefängnis und Folter erheben Tausende auch weiterhin ihre Stimme gegen die Ungerechtigkeiten.
Bei all der Bitterkeit des Krieges in Kurdistan haben wir auch große Hoffnungen in die Selbstverwaltungsstrukturen sowohl in Rojava als auch im türkisch besetzten Teil Kurdistans. Besonders hervorzuheben sind die Leistungen und Errungenschaften der Frauen* in diesem Prozess: Während deutsche Konzerne sich für ihre Führungsgremien freiwillige Zielquoten für den Frauen*anteil geben, die häufig bei Null liegen, haben sich die Genossinnen* in Kurdistan eine Gleichstellung bei der Besetzung aller Ämter erstritten. Und sie kämpfen an vorderster Front gegen den IS und die Reaktion – auch militärisch. Den Mut für ihr feministisches Handeln schöpfen viele von ihnen – und das steht dem rassistischen Diskurs in der BRD entgegnet – auch explizit aus ihrem alevitischen Glauben. Und das Wissen, das Kurdinnen* in den Kandilbergen (irakisches Staatsgebiet) und in ihren Kämpfen erarbeitet haben, geben sie jetzt auch ungeachtet der Religion oder „Ethnie“ an Frauen* in der Region weiter, die sich ihrerseits organisieren und sich nicht mehr unterwerfen wollen.
Das NATO-Mitglied Türkei geht gegen diesen Demokratisierungs- und Zivilisationsschub – wie geschildert – mit massiver militärischer Gewalt vor. Und das Kriegsgerät stammt auch aus der Bundesrepublik. Überhaupt spielt die deutsche Regierung eine ambivalente, zum Teil auch dubiose Rolle im Prozess: Aufklärungsflugzeuge fertigen Bilder aus der gesamten Region an, die dann auch der türkischen Regierung zur Verfügung stehen. Die (öl-lieferwillige) Regionalregierung im irakischen Teil Kurdistans wird mit Waffen beliefert, die später auf Märkten wieder zum Kauf angeboten werden. Und zur offenen Barbarisierung im Inneren der Türkei gibt es von der Bundesregierung allenfalls kleinlaute Töne:
Womit wir auch bei den Kurd*innen sind, die Newroz am albanischen Grenzzaun bei Idomeni feiern mussten. Und all den anderen, die als Geflüchtete in Griechenland wie in einem schlammigen Wartesaal festhängen, während die Unterkünfte in der BRD leerstehen. Sie sind die Leidtragenden der Festung Europa, an deren Neustrukturierung die Orbans und Seehofers in den letzten Monaten mit Akribie und rassistischer Leidenschaft gearbeitet haben. Teil des perfiden Plans ist es, von nun an alle, die über das Mittelmeer nach Griechenland flüchten, im Schnellverfahren wieder in die Türkei zurückzuschieben. Dafür lässt sich Erdoğan im Gegenzug sechs Milliarden Euro bezahlen und verbittet sich Kritik an seiner Amtsführung im Inneren: Quasi als Belohnung für die zunehmende Faschisierung, sollen die Beitrittsverhandlungen mit der EU neuen Wind erhalten. Eine Hand wäscht hier die andere – im Blut der Menschenrechtsverletzungen, die hier wechselseitig hingenommen werden.
Das zu benennen ist unsere solidarische Aufgabe in Rosenheim an der Seite der Kurd*innen, an der Seite der Flüchtenden, an der Seite der Frauen*.
Reichen wir dem Widerstand in Kurdistan die Hand!
16.04. 12Uhr Bahnhof Rosenheim